metroZones
SCHULE FÜR STÄDTISCHES HANDELN

Fragmente aus Gesprächen mit Kotti & Co und Berlin Postkolonial

Diskursmanöver – zur Politik des Sprechens im städtischen Raum

Sprache dient nicht nur dazu, etwas bereits Vorhandenes zu kommunizieren, sondern sie produziert etwas, nämlich soziale Bedeutungen und Machtverteilungen. Diese gesellschaftliche Dimension des Sprechens ist mit dem Begriff des »Diskurses« gemeint. Auch Stadt wird von dominanten Diskursen bestimmt und gemacht – über die Rede von der Smart City oder der »kreativen Stadt«, von Willkommenskultur und »Integration«, über die Stigmatisierung von Menschen (Kriminalisierung) oder Stadtteilen (Ghetto-Diskurse), über Geschichtsbilder, die über Dazugehören oder Ausgrenzung bestimmen.

Wer immer ein Recht auf das Städtische reklamiert, muss sich im Diskursraum der Stadt positionieren – gegen hegemoniale Bilder und Erzählungen, als Unterlaufung, Ironisierung oder Verfremdung, als Gegenerzählung, Umkodierung und als Übersetzungsmanöver.

Mit zwei städtischen Akteur*innen, die in jeweils verschiedene Felder intervenieren, hat sich die metroZones-Schule beschäftigt: mit der am Berliner Kottbusser Tor beheimateten Mieterinitiative Kotti & Co, die seit 2012 als kämpferische Nachbarschaft in Erscheinung getreten ist und zu einem zentralen Player städtischer Wohnungspolitik geworden ist; und mit den »Stadtführern« von Berlin Postkolonial, die die unsichtbaren kolonialen Grundierungen im ach so geschichtsbewussten Berlin aufzeigen.

Die folgenden Fragmente stammen aus Gesprächen, die Anne Huffschmid und Stephan Lanz mit ihnen im Sommer 2015 geführt haben. // AH

Producing:Hacking Public Space Erik Göngrich. Video: Christian Hanussek

Kotti & Co

Ein neuer Ort (des Sprechens) – Umkodierung

ULRIKE HAMANN: Als wir gesagt haben »Wir sind Kreuzberg« steckte da Lefebvres Verständnis von Raum als sozialer Praxis drin: »Wir haben diesen Stadtteil zu dem gemacht, was er ist, und jetzt sollen wir hier verdrängt werden.« Denn wenn man sich anschaut, wie er die Entstehung städtischer Räume beschreibt, war das genau das »Wir machen die Stadt«.

Es gab eine gemeinsame Erfahrung oder ein Bewusstsein dafür, dass wir in einem Raum agieren, der von einem hegemonialen Schweigen belegt ist, und dass man da einen neuen Diskurs entfachen muss. Das war zum einen der soziale Wohnungsbau, denn es gab keine politische Repräsentation der Sozialmieter*innen. Das andere Thema war die stille Verdrängung der Bevölkerung, die arm und in der Innenstadt zumeist migrantisch ist. Die Erfahrung darüber ist ja alt und tief, die haben wir angefangen zu artikulieren …

SANDY KALTENBORN: Wir haben mit dem »Wir sind Kreuzberg«-Ticket gespielt, wir haben mit dem Ticket der »Türken« gespielt und haben das gleichzeitig immer wieder unterlaufen – wir haben nicht diese Klischees bedienen wollen. Wir sind in erster Linie eine Gruppe unterschiedlicher Mieter und Mieterinnen und wollen keine komische Ethnizität herstellen, sondern eher taktische identitäre Markierungen, die man fließend einsetzen kann und denen man sich auch wieder entzieht.

STEFAN LANZ: Über den Kotti gab es ja zudem hegemoniale Bilder – als Problemraum, als No-go-Bezirk, eine lange Tradition des Schlechtredens und Ausgrenzens.

UH: Und wir haben geschafft, das andersrum zu drehen. Als wir hier die ersten Nachbarn kennenlernten, war unsere Wahrnehmung, dass es viele Menschen gibt, die sich schon lange engagieren, in Elternvertretungen, Quartiersrat oder Bibliothek, und versuchen, hinter den Kulissen des Gewalt- und Kriminalitätsdiskurses diesen Ort zu einem lebenswerten Ort zu machen. Das in die Formel »I love Kotti« zu packen kam dann sogar beim Staatssekretär an, der sagte, er habe das noch nie erlebt, dass sich jemand für diesen Ort stark gemacht hat.

Beim Namen nennen

SK: Ohne das Thematisieren von strukturellem Rassismus wären wir nicht so zueinander gekommen. Wir haben zum Jahrestag vom Anschlag von Mölln eine Veranstaltung gemacht, auf der alle im Wintereng zusammensaßen, und einige Nachbarn meinten: »Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Leben noch mal mit Deutschen zusammenkomme. «

(Politik) neu benennen

SK: Sehr wichtig war auch, dass wir früh den Slogan hatten, es geht hier nicht um Politik. Es geht ja tatsächlich nicht um politische Ideologie, auch nicht um Religion, da haben wir sehr unterschiedliche Vorstellungen, und es geht auch nicht um sexuelle Orientierung. Es geht um Verdrängung – unser letzter Halbsatz lautet ja »Alles Weitere bei einer Tasse Tee«. Das verweist auf Raum, Respekt, Zuhören, Empathie, Zeit.

UH: Es war auch wichtig, das Politische und die Politik zu unterscheiden. Verstehen, dass es eine Skepsis gegenüber Politik und gegenüber Vereinnahmung gibt. Dass man gemeinsam durch diesen Prozess geht, Erfahrungen macht, etwas artikuliert, sich Gehör verschafft. Wenn wir gesagt hätten, wir müssen hier gegen die Wohnungsbaugesellschaft vorgehen, das sind die Kapitalisten, unsere Gegner, das wäre nicht gegangen.

Vertrauen

ANNE HUFFSCHMID: Kotti & Co hat lange im Feld der formalen Politik verhandelt. Was hat die Gruppe vor einer abgehobenen Realo-Logik bewahrt, der zufolge die wahre Politik eh nur im Parlament stattfindet? SK: Konkrete Leute, die durch ihre Geschichte geprägt sind, die eine Sprache und die eine Sozialität untereinander haben. Anders gesagt: Das hat viel mit Vertrauen zu tun. Ohne Vertrauen, ohne dieses Mehr jenseits des politischen Geschäfts, wäre Kotti & Co zerbrochen. Wir haben sehr viel Vertrauen erfahren von den Nachbarn. Wir waren meistens vor den Kameras. Gleichzeitig haben wir auch immer andere vorgeschickt. Ulrike und ich haben sicher das Gros der Texte geschrieben. Aber doch sind sie ein kollektiver Prozess. Diese Texte sind nicht von uns, sie sind im Handgemenge dieser Gruppe gewachsen.

Berlin Postkolonial

Auseinandernehmen und neu zusammensetzen

ANNE HUFFSCHMID: Postkoloniale Strategien in Berlin wollen die große Erzählung von der multikulturellen Geschichtsmetropole Berlin unterlaufen und sich zugleich selber in ihr einschreiben.

KWESI AIKINS: Über den Ansatz der »Verflechtung« will ich den Alltag mit kolonialen Bezügen aufladen, die das, was man zu kennen glaubt, also diese Meistererzählungen, unterlaufen. Und das geht natürlich in der Stadt besonders gut, etwa über das Aufladen von Straßennamen. Wenn man das einmal gehört hat, wird man das nicht mehr vergessen. Rekonstruktion heißt für mich auch, die Geschichte von den großen Begriffen neu zu erzählen. Und zwar dadurch, dass man an einem konkreten Ort – also etwa dem Ermelerhaus [eine Station der Tour, A.d.R.] – zeigt, dass Dinge, die Leute originär für westliche Errungenschaften halten, ohne die kolonialen Bezüge nicht zu verstehen sind. Zum Beispiel der Begriff der Freiheit, den man nur verstehen kann, wenn man sich diese rekonstruktive Mühe gibt, zu zeigen, wie dieser durch den Freiheitskampf der Schwarzen, also den Black Atlantic, überhaupt erst geformt wurde. Weil die Freiheit, wie sie vorher verhandelt wurde, ja ganz offensichtlich exklusiv war.

Irritationen und Verkomplizierung

KA: Meine Erfahrung ist, dass dieses Feld in Berlin bei vielen hier aufgewachsenen Deutschen stark identitär aufgeladen ist. Mit gutem Deutschsein verbindet sich, dass man die Geschichte der 1930er und 1940er Jahre reflektiert hat. Wenn ich das bei den Rundgängen und Vorträgen aber dann erweitere – im Sinne von: man kann das NS-Regime nicht verstehen ohne die koloniale Vorgeschichte –, dann wird das nicht nur als intellektuelle Herausforderung verstanden, sondern als moralischer Anwurf. Weil es die Singularität des Holocaust infrage stellt: Zugespitzt gesagt, heißt ein guter Deutscher sein, die Singularitätsthese zu vertreten, weil das zeigt, dass man die Tiefe und Verletzung der Gräuel verstanden hat.

Gerade die Stadt bietet nun die Möglichkeit, Dinge des Alltags neu zu lesen und dabei zu entdecken, wie vielschichtig die Schichten der Geschichte hier interagieren. Bei den Touren mache ich immer einen Einschub zur Befreiung Deutschlands und dem kolonialen Zusammenhang, und zwar am Ziethenplatz, wo es ein Haus mit den Einschusslöchern gibt. Da zitiere ich dann Churchill zu dem Krieg in Bangladesch, als dieser informiert wird im Sinn von »Wenn wir weiter Ressourcen für den Krieg in Europa abziehen, gibt es dort eine Hungersnot «. Und Churchill lässt es laufen und es gibt die Hungersnot und er kriegt ein Memo, in dem steht, »zwei Millionen sind gestorben« – und er notiert handschriftlich daneben: »Why didn’t Gandhi die yet?« Es geht hier also darum, den Rahmen von Befreiung dadurch zu verkomplizieren, dass man die Befreier in den kolonialen Kontext stellt. Dass wir nicht nur die Rote Armee oder die Alliierten erinnern sollten, sondern auch Leute in Bangladesch, die dafür gestorben sind.

Kolonialität als Marker

AH: Um die Verflochtenheit der verschiedenen Layer von Vergangenheit zu markieren, dient die Kategorie der Kolonialität.

KA: Wir können Kolonialität als eine Eigenschaft der Gegenwart oder eine Eigenschaft von Dingen sehen. Sie steckt in den Dingen, die einen umgeben, die man konsumiert. Ich finde das hilfreicher, als von »postkolonialen Bezügen« zu sprechen. Es macht die Dinge greifbarer. Nicht um zu sagen, man kann alles darauf zurückführen – aber es gibt doch wenige Dinge, in denen nicht auch Kolonialität drinsteckt. Etwa das Beispiel Vanille. Das war eine indigene Kulturpflanze in einem Teil Südamerikas, die mit einem Wissen um die manuelle Bestäubung verbunden war. Die ersten Europäer, die die Pflanze toll fanden, konnten die aber nicht bestäuben. Sie hatten durch ihre genozidale Aggression den Zugang zum Wissen dazu vernichtet. In einem langen Zyklus haben sie die Pflanze um die ganze Welt geschickt, in der Hoffnung, dass man das irgendwo herauskriegt – das war aber immer ein sehr geringer Ertrag. Und dann passiert es auf Mauritius, dass ein schwarzer Versklavter diese Methode noch mal neu entwickelt hat – das war dann die Grundlage der Vanille-Industrie. Dieser Mann war natürlich nicht frei, aber doch recognized als der, der das möglich gemacht hatte. Bei einem Delikt, für das er später sonst zum Tode verurteilt worden wäre, bekam er nur lebenslänglich. Dieser Zusammenhang ist nicht nur intellektuell erfassbar, sondern auch über einen Geschmack. Die Hoffnung ist also, Kolonialität physisch und körperlich erfahrbar zu machen – also sinnlich, ästhetisch, sogar geschmacklich …