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SCHULE FÜR STÄDTISCHES HANDELN

Vassilis S. Tsianos

MOBILE COMMONS

Mobile Commons stellen eine Herausforderung und/oder Störung des kontrollgesellschaftlichen Zugriffs auf Bevölkerungen dar – ein Zugriff, der vor allem über die Identifikation und Bewegungskontrolle des Einzelnen bzw. seiner digitalen Spuren funktioniert.

Migration im Sinne des Konzeptes der Mobile Commons ist ein Prozess, der sich in eine Vielfalt transnationaler und transmedialer Bezüge von sozialräumlichen Konstellationen und Praktiken von Transitmigrant*innen und Geflüchteten einschreibt. Diese transmedial stabilisierte und transnational gelebte Zuverlässigkeit kann nur dadurch erhalten werden, dass sie sich auf Gegenseitigkeitsräume verlässt. Gegenseitigkeit in diesem Sinne bedeutet, die Multiplikation des Zugangs zur Mobilität für andere immer wieder zu ermöglichen. Mobile Commons werden in migrantischen Netzwerken erzeugt, die temporär soziale Gruppen aktualisieren; niemand reist alleine, niemand nutzt Informations- und Kommunikationstechnologien solitär, aber man tut es auch nicht »gemeinsam«.

Mobile Commons adressieren aber keine besondere Medialität, sie umfassen alle möglichen Tools und sozialen Technologien, von der beschriebenen Wand an der Straße vom Camp zum Hafen, über den antiquierten Brief bis zum elaborierten digitalen Tripadviser. Mobile Commons sind von großer Bedeutung gerade angesichts eines Europas, in dem sich die Grenzen längst nicht mehr nur als geografische Demarkationslinien »nach außen« erweisen, sondern als »nach innen « gerichtete informationelle Grenzzonen, die sich oft über eine große lebenszeitliche Spanne von Migrant*innen erstrecken. Dies führt faktisch dazu, dass der Versuch der Einwanderung nach Europa manchmal vergeblich bleibt, weil man nicht ankommen kann, obwohl man das Territorium bereits erreicht hat. Oder man wird bereits zu Beginn bei der Einreise kriminalisiert, sodass die Immigration zu einem langen und mühevollen Prozess und Versuch wird, die Abschiebung abzuwenden.

Graphic Recording: Matze Jung

Solchen vielfältigen Formen der Behinderung der Bewegungsfreiheit, die bis zur Haft reichen, stehen die Mobile Commons gegenüber. Sie stehen für das sozial verteilte Potential, in einem Kontinuum von Off und Online-Kommunikationsstrukturen zu agieren und zugleich für deren Erhalt zu sorgen: Diejenigen, die nach dir kommen, sollen möglichst dieselbe Route nehmen können und entsprechende Informations- und Vermittlungsinfrastrukturen unbeschädigt vorfinden. Commons sind Möglichkeiten, die im gleichen Zuge erzeugt wie wiederhergestellt werden. Commons sind Infrastrukturen des Gemeinsamen. Dazu gehören:

  • Das unsichtbare Wissen über Mobilität, das zwischen den Menschen unterwegs ausgetauscht wird (Wissen über Grenzübergänge, Unterkünfte, Umschlagplätze, Fluchtrouten, Ruheplätze; Wissen über Polizei und Überwachung, Wege, sich der Kontrolle zu entziehen), wie auch Wissen über die Möglichkeiten der Niederlassung (Wissen über bestehende Gemeinschaften, soziale Unterstützung, Bildungsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung, »ethnische« Ökonomien, Mikrobanken).

  • Eine Infrastruktur der Konnektivität, die unverzichtbar dafür ist, dieses Wissen zu verbreiten und die zirkulierende Logistik der Unterstützung zu ermöglichen, um mobil bleiben zu können: das Sammeln, Aktualisieren und Bewerten von Information, indem eine breite Ansammlung von Plattformen und Medien benutzt wird – von der körperlichen Form der mündlichen Weitergabe bis zu sozialen Online-Netzwerken, Geo-Ortungstechnologien und alternativen Datenbänken und Kommunikationsmitteln.

  • Eine Vielzahl informeller Ökonomien. Mobile Commons liegen natürlich nicht außerhalb bestehender Beziehungen von Produktion, Reproduktion und sogar Ausbeutung. Dies meint all jene wirtschaftlichen Aktivitäten und Dienstleistungen, die über den öffentlichen Sektor oder privat schwer zugänglich sind: Wie man einen Arzt oder einen Anwalt finden kann; wie man kurzfristige Arbeit oder auch längerfristige Beschäftigung finden, Geld schicken und empfangen, mit Freund*innen, Familie und Weggefährt*innen kommunizieren kann; wie man es durch die Ökonomien des Schmuggels schafft; wie man die notwendigen Papiere für die weitere Bewegung beschafft, die Miete aufbringt und die richtige Person, mit der »man reden muss«, finden kann.

  • Diverse transnationale Allianzen und Koalitionen zwischen verschiedenen Gruppen, regionalen Regierungen, politischen Organisationen oder NGOs; die Organisation von Kampagnen in Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen und anderen sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen; die Organisation von Camps oder Aktionen zur Unterstützung.

  • Die letzte und wahrscheinlich wichtigste Dimension der Mobile Commons: eine Politik der (Für-)Sorge, sowohl als die allgemeine Dimension des Sich-um-die-anderen-Sorgens und Mitgefühl-Habens wie auch die unmittelbare Beziehung der Fürsorge und Unterstützung: gegenseitige Zusammenarbeit, Freundschaften, Gefallen ohne Gegengefallen, mitfühlende Unterstützung, Vertrauen, Sorge um und für die Angehörigen und Kinder anderer Menschen, transnationale Beziehungen der (Für-)Sorge wie auch eine Ökonomie der Schenkung zwischen mobilen Menschen.