Verortungen
Das »aquarium« am Kottbusser Tor
In Berlin traf sich die metroZones-Schule 2016 mitten in Kreuzberg am Kottbusser Tor. »Der Kotti« ist nicht nur Verkehrsknotenpunkt und ein als sozialer Brennpunkt stigmatisierter Ort, sondern auch soziales Zentrum des Stadtteils.
Seit vielen Jahren schon arbeiten Bewohner*innen in Elterninitiativen, im Quartiersrat oder in der Bibliothek daran, gegen den herrschenden Gewalt- und Kriminalitätsdiskurs den Kotti zu einem lebenswerten Ort zu machen. 2011 hat sich hier zudem die Mietergemeinschaft »Kotti & Co« https://kottiundco.net/ gegründet und hat im Folgejahr den Platz mit ihrem Protest-Gecekondu besetzt – politische Teestube und Headquarter einer inzwischen stadtweit bekannten Protestbewegung, die für bezahlbaren Wohnraum streitet. Das Gecekondu steht bis heute und macht immer wieder durch mediale Offensiven – darunter auch das Live-Radio kotti.fm im Sommer 2016 – von sich hören. Die Mieterinitiative hat ein Label behauptet (I love Kotti) und zugleich, räumlich wie politisch, einen neuen, in der Stadtlandschaft unübersehbaren Ort geschaffen, der sich federführend in die Berliner Mieten- und Wohnungspolitik einmischt.
Schwer vorstellbar wäre das Gecekondu ohne die Unterstützung durch den Nachbarn gegenüber, die großflächige Bar »Südblock«. Deren Betreiber*innen haben den früheren Niemandsort zwischen Neuem Kreuzberger Zentrum, der Hochbahn und der eher unwirtlichen Skalitzerstraße zu einem urbanen Kreuzungspunkt gemacht, an dem Nachbar*innen und Aktivist*innen, Kreuzberg-Besucher*innen und queere Kultur aufeinandertreffen.
Als aus dem Ladenlokal um die Ecke das alteingesessene Fachgeschäft Aquarien Meyer auszog, setzte das Südblock-Team auf Erweiterung: Auf der 300 Quadratmeter großen ehemaligen Ladenfläche sollte ein offenes Forum für die Nachbarschaft, für Vereine und die interessierte Öffentlichkeit entstehen, für Seminare und Veranstaltungen, Aktionen, Workshops und Sozialberatungen – möglichst heterogen und inklusiv.
Die metroZones-Schule war seit dem Frühsommer 2016 eine der ersten Gruppen, die das »aquarium« – damals noch im Umbau – für seine Schulversammlungen nutzte. Die bodentiefen Glasfenster, die den Blick nach draußen »in die Stadt« ebenso möglich machten wie den von außen nach innen, schienen uns dafür ebenso passend wie das Unfertige des Ortes, der noch im Aufbau begriffen war – genau wie unsere Workshops und Diskussionen über städtisches Handeln: under construction. // AH + KW
Die »fux-Kaserne«
Was wäre die Schule für städtisches Handelns als materialisierter Ort? Ein USB-Stick in einem 3D-Drucker oder eine mobile Interventionsbude mit ausklappbaren Bänken und Leinwänden, WLAN und Medienproduktionsplätzen? Bestünde die Schule aus einem solitären Gebäude oder wäre sie nur dann stabil, wenn sie sich andockt an konkrete Orte politischer Praxis?
Nicht zufällig ploppt bei diesem Gedankenspiel vor meinem Auge das Bild der »Kaserne« auf. 2016 hat dock europe als Teil des Projektes fux eG in einer ehemaligen denkmalgeschützten Kaserne ein Internationales Bildungszentrum gegründet – mit Seminarräumen und Gästeetage. In und um dieses Gebäude herum hat auch der zweite Teil der Hamburger metroZones-Schule stattgefunden.
Die »fux-Kaserne« setzt auf Selbstverwaltung, Teilhabe und Beteiligung. Die Genossenschaft hatte sich 2013 als Ergebnis stadtpolitischer Auseinandersetzungen um verknappte Räume gegründet. Bildung trifft Kultur – die Energie und Experimentierfreude in der Synergie sprudeln schon jetzt in den Stadtteil hinein und darüber hinaus: Die fux eG und darin das Internationale Bildungszentrum sind ein Ort der Begegnung – mit internationalen Projekten, Beschäftigung und Praktika für Geflüchtete, unter einem Dach mit Bildungseinrichtungen, selbstverwalteten Jugendräumen, Ausstellungsflächen und Filmfestivals, dem Chaos Computer Club sowie Künstler*innen und Kreativen, Handwerker*innen, Jounalist*innen und vielem mehr. Ein Ort, der unterschiedliche Zugänge für unterschiedliche Menschen bieten möchte.
Dies bedeutet aber auch, dass hier permanent Aushandlungsprozesse stattfinden. Im Haus verhandeln 220 Genoss*innen ihre verschiedenen Bedürfnisse – zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen (sozialem) Unternehmer*innentum und (Sub-)Kulturschaffenden, um nur einige der Konfliktfelder zu nennen. Hier dürfen viele mitmachen, sie müssen aber auch mitmachen – und sie können es auch, weil es Gestaltungsraum gibt. Aus der alten Polizeikaserne in Hamburg- Altona soll im Laufe der Zeit eine diverse kosmopolitische Denk- und Praxisfabrik entstehen, in der gemeinsam Wissen & Erfahrungen gesammelt werden. Die Idee ist, dass sich Menschen und Gruppen mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten selbstbestimmt präsentieren können und miteinander in Kontakt kommen. So wie die temporäre Schule für städtisches Handeln – das Große im Kleinen, ein Brennglas und eine Beschleunigerin von Erfahrungen. // PB