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SCHULE FÜR STÄDTISCHES HANDELN

Es gab Geräusche des Wartens: Soundkartierungen

Im August 2015 waren Hamburg und Berlin, wie viele andere europäische Städte auch, durch große Gruppen täglich ankommender Geflüchteter gekennzeichnet. Der »Summer of Migration« produzierte überall neue räumliche und soziale urbane Situationen.

In Berlin-Moabit, ganz in der Nähe unseres »Schulhauses«, dem Z/KU, konnten wir u.a. durch Beobachtungen vor der Zentralen Aufnahmestelle für Geflüchtete im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGESO) Eindrücke der angespannten Situation des Wartens kartieren; in Hamburg war ein von der Initiative Refugees Welcome Karoviertel organisiertes Picknick an den Messehallen, in denen für einige Wochen 1.200 Geflüchtete untergebracht wurden, der Ausgangspunkt für Übungen zu Soundkartierungen, Mappings und Diskussionen über städtisches Handeln.

»Wir haben alle drei an unterschiedlichen Stellen am Kanal gesessen. Tilla und ich saßen an dem Ufer, Valentin unter der Brücke. Es gab einen leisen Grundton, ein Geplätscher, wenn Boote vorbeifuhren, wurde das verstärkt. Durch das Zuhören hat man neue Orte entdeckt, die man sonst nicht wahrgenommen hätte. Zum Beispiel hat man gehört, dass es woanders gluckert. Es gab so etwas wie kleine Höhlen am Ufer. Erst durch das lange Zuhören sind neue Orte entdeckt worden. Wir fanden es alle sehr schwierig, das, was wir gehört haben, zu kartieren. Wenn man nur hört, hört man all die verschiedenen Ebenen der Stadt. Man hört oben, hinter sich, man hört drei Straßen weiter, man hört genau, wo die Geräusche herkommen, aber es ist sehr schwer, das zu zeichnen. Durch die Böschung war es wie eine Wand, man hörte die Autos oben, aber ich konnte nicht hören, was dahinter passierte. Es gab ein paar sehr dominierende Geräusche, wie die S-Bahn, die regelmäßig über die Brücke fuhr. Und auch die Geräusche der Blätter waren ein konstanter Grundton. Es gab ein Rascheln von ein oder zwei Ratten. Wenn man genau hinhört, ist es plötzlich extrem laut, man merkt, wie viel man wegfiltert, das ist ohrenbetäubend.«
Elizabeth Calderon-Lüning, Ausschnitt einer Soundkartierung in der Nähe der Berliner Ausländerbehörde, August 2015
Friedel Kremer und Ellen Wiener, Soundkartierung in der Nähe des LAGESO, Berlin, August 2015
»Durch das Rauschen der Bäume und die wenigen Geräusche war es – bis auf die hohen Frequenzen der Kinder – sehr ruhig. Nur die Megafon-Durchsagen hatten durch ihre scheppernde Klangqualität und die verzerrten Stimmen etwas sehr Aggressives. Der Platz hat einen sandigen und heute sehr trockenen Boden. Das hat viele Geräusche in anderen Bereichen geschluckt. Bei dem Brunnen waren andere Bodenmaterialien, da hörte man das Quietschen der Kinderwagen oder der Einkaufswagen, mit denen Wasser und Obst verteilt wurde.«
Friedel Kremer, Ausschnitt einer Soundkartierung in der Nähe des LAGESO, Berlin, August 2015
»Und vor allem hörte man die Flipflops von den Menschen, die vorbeigegangen sind. Mir kam es vor, als gäbe es so etwas wie Geräusche des Wartens, die man gehört hat. Das war einmal eben das Aufklatschen mit den Flipflops, wenn man hoch- und runtergeht, oder auch mit festen Schuhen, wenn man die Ferse aufschlägt, wenn man nervös ist oder wenn einem langweilig ist. Was man auch gehört hat, waren Telefongespräche. Ich konnte die Sprache nicht verstehen, aber mir kam es vor, als könnte man eine Anspannung hören. Das entspannte Rauschen des Windes schien sehr trügerisch.«
Ellen Wiener, Ausschnitt einer Soundkartierung in der Nähe des LAGESO, Berlin, August 2015
Nicole Noack, Soundkartierung eines Picknicks der Initiative Refugees Welcome Karoviertel vor den Messehallen, Hamburg, August 2015
»Ich habe versucht, die Geräusche auf dem Platz räumlich zu verorten und gleichzeitig mit Symbolen zu kennzeichnen, welcher Art die Geräusche waren. Ich fand es total auffällig, dass – bevor die Musik über den Lautsprecher kam – der Platz total leer von Geräuschen war. Es war alles ziemlich leise und gedämpft und weit weg. Am lautesten waren ein Hupen oder Kinder, die herumgehüpft sind. Die Hauptaktion der Menschen war akustisch gar nicht so wahrnehmbar. Ich habe auf mein Blatt geguckt und versucht, nur zu hören und nicht zu sehen, was ich höre.«
Nicole Noack, Ausschnitt einer Soundkartierung eines Picknicks der Initiative Refugees Welcome Karoviertel vor den Messehallen, Hamburg, August 2015
»Ich habe auch mit verschiedenen Symbolen versucht, zu kartieren, was ich höre. Das Gezackte sind Stimmen, die verschiedenen Größen zeigen die Intensität. Es gab einzelne laute Stimmen, an der Essensausgabe waren sehr viele Stimmen, eher so ein Stimmkloß. Da gab es ein Lachen, das sind die gewellten Linien. Und es gab springende Kinder. Auf der anderen Seite gab es Musik, dazwischen lautere Stimmen. Und hier war etwas wie eine Beobachterzone, da standen zwar viele Menschen mit verschränkten Armen, aber da war es ganz still.«
Dorle Koch, Ausschnitt einer Soundkartierung eines Picknicks der Initiative Refugees Welcome Karoviertel vor den Messehallen, Hamburg, August 2015