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SCHULE FÜR STÄDTISCHES HANDELN

Schoolbook :: Inhalt > 08 Bildarbeit > Gespräch

Die Layer einer Fotografie – Bilder als Übersetzung lesen

Eine kollektive Bildlektüre und Diskussion zu globalen Bildern. Ausgangspunkt ist das Foto eines Schablonengraffitis an einer Hauswand in Kairo, das im Februar 2012 aufgenommen wurde:

The revolution will not be tweeted
Foto: Hossam el-Hamalawy, CC BY-NC-SA 2.0

Fragen für die gemeinsame Bildbefragung, die zuvor in kleineren Gruppen besprochen wurden: Welche Übersetzung findet statt? Zwischen welchen Sprachen, Kodes und Zeichensystemen? Welche Räume und Geografien werden aufgerufen, übersetzt, miteinander verbunden? Welche Gefühle werden mobilisiert? Wo liegen die Grenzen der Übersetzbarkeit, wo gibt es Missverständnisse? Kann es so etwas wie eine universelle Bildsprache geben?

SANDY: Ganz klar haben wir hier die Übersetzung eines alten Diskurses [vgl. den Song von Gil Scott-Heron: The Revolution Will Not Be Televised, 1970] in einen neuen Diskurs. Zu den Geografien: Da wird die analoge mit der digitalen Welt in Verbindung gesetzt. Die digitalen Medien sind negativ konnotiert, es ist eine kulturpessimistische Position: Das richtige Leben, die richtige Revolution findet auf der Straße statt. Interessant fanden wir die darunterliegende Äußerung in Arabisch, aller Wahrscheinlichkeit nach eine spontane Äußerung im Sinne von »Die Welt ist schlecht, ich hoffe, dass sie besser wird – bitte mach mit!«. Darüber dann der Globalisierungsversuch durch die Benutzung des Englischen, eigentlich sind es ja drei Sprachen: Arabisch, Englisch und schließlich bildsprachlich das Twitter-Icon.

PATRICIA: Warum ist die Aussage direkt über die andere Aussage gesprüht? Man hätte doch auch links oder rechts sprühen können …

SANDY: Vielleicht ist das ja ganz bewusst so gemacht. Wir wissen ja nicht, was darunter stand – vielleicht ist es auch »Schlag deine Frau und sperr sie zu Hause ein«.

MATHIAS: Das mit den Gefühlen haben wir unterschiedlich diskutiert: Ich fühle mich darin inhaltlich sehr angesprochen, weil ich das schon immer richtig fand: Als Hausbesetzer findet für mich die Revolution vor Ort statt, nicht in der Zeitung, nicht im Fernsehen oder im Internet. Du musst dabei sein, sonst findet sie nicht statt.

SANDY: Für mich ist das eine extreme Vereinfachung. Als Gegenbeispiel habe ich gesagt: In den 1980er Jahren habe ich, als ich noch in Westdeutschland gewohnt habe, Nachrichten geguckt, wie hier in Kreuzberg die Barrikaden gebrannt haben – auch deshalb wohne ich hier und nicht woanders. The revolution will not be televised, but television can promote revolution. There will be no revolution without media. Natürlich wird die Revolution nicht im Fernsehen und nicht auf Twitter stattfinden. Aber dann kann ich ja auch sagen: The revolution won’t be theorized or won’t be workshopized – alles Praktiken, die nicht revolutionär sind, aber deshalb nicht schlecht oder falsch.

ISMAEL: Für mich sah das aber auch nach Twitterverbot aus, also ein Kommunikationsverbot …

ANNE: Das ist vielleicht eines dieser produktiven Missverständnisse: Dass man das in einem Kontext, wo man wie Ismael eher mit Zensur zu tun hat, auch als Verbotszeichen lesen kann, im Sinne von »Hier wird nicht getweeted«.

KATHRIN: Das sind ja in der Tat zwei ganz verschiedene Zeichensysteme – das Schild zeigt ein Verbot, der Spruch hat eine ganz andere Aussage: Dass die Revolution nicht im Netz stattfindet, nicht etwa, weil sie verboten wäre, sondern weil das dort nicht funktioniert.

SANDY: Die Sache mit dem Verbot habe ich nicht so auf dem Schirm gehabt, dass das in einem arabischen oder chinesischen Kontext komplett gegenläufig ist: Die Bildsprache läuft gegen den kleinen Spatzen. Revolution against little blue sparrows, wouldn’t be the right thing … Man hätte ihn ja auch einfach aus dem Bild laufen lassen können.

DANIELE: Für mich schwingt eine Nostalgie mit, von den alten aufrichtigen Revolutionären, die sagen, wir haben noch auf der Straße gekämpft und Häuser besetzt und ihr Twitterfreaks und Pokemon-Monster könnt gar keine richtige Revolution machen.

ANNE: Zwei Anmerkungen zum Funktionieren solcher Zeichen: Stichwort Vereinfachung – muss es einfacher werden, um zu kommunizieren? Und falls ja: Was wird vereinfacht, welche Komplexität wird runtergedimmt? Und zur Frage des Zitats, das Graffiti als Zitat eines Zitats. Akademisch gesprochen: Jeder Text enthält Verweise auf andere Texte, das nennt man Intertextualität. Es gibt also nie den Nullpunkt einer Debatte, jedes Bildzeichen positioniert sich immer zu einem anderen Zeichen, das auch nur les- und verstehbar wird in dieser Positionierung. Man könnte auch sagen, das Zeichen an sich macht gar kein Statement, sondern wird nur im Kontext gelesen – nicht selten als Bestätigung dessen, was man eh schon wusste oder vermutete.

SANDY: Die Frage nach einer universellen Sprache ist ein Phantasma, also die Vorstellung, es gäbe einen Kode, der ein Zeichen sendet, das dann überall genau so empfangen wird. Kommunikation ist immer prekär, trifft auf sehr unterschiedliche Rezipienten. Letztlich könnte es sogar ein Guerilla-Marketing vom Konkurrenten Facebook sein: The revolution will not be tweeted – because it will be facebooked.